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Am Sonntag, dem 14. Juli, jährt sich zum dritten Mal der Terroranschlag von Nizza, bei dem 2016 ein Lastwagen in eine feiernde Menschenmenge raste. Es war nur einer von vielen grausamen Terroranschlägen und Katastrophen, die Frankreich in den letzten Jahren erschütterten. Dieser Beitrag handelt vom Umgang mit Katastrophen durch die Franzosen, die Touristen und durch mich. Er wurde durch die Blockparade Schwarzer Tourismus meiner Bloggerkollegin Michelle von The Road Most Traveled inspiriert.
7. Januar 2015: Charlie Hebdo
Am 7. Januar 2015 drangen Terroristen in die Redaktionsräume der Satirezeitschrift Charlie Hebdo ein und töteten zwölf Menschen. Es war ein Mittwoch. Ich habe damals noch in Essen gearbeitet und erfuhr im Büro von dem Attentat. Am Donnerstag fuhr ich zurück nach Paris. Am Morgen jenes 8. Januars musste die Polizistin Clarissa Jean-Philippe in Montrouge sterben.
Am Freitag saß ich wie gebannt vorm Fernseher und verfolgte den Überfall auf den jüdischen Supermarkt. Als mein Mann am Nachmittag nach Hause kam, war ich beruhigt und beschloss erst einmal das Haus nicht mehr zu verlassen. Eigentlich war geplant gewesen, einen Großeinkauf zu machen. An jenem Tag wurden vier weitere Menschen von Terroristen ermordet.

Die Anschläge haben mich damals tief erschüttert, schon deshalb, weil ich selbst Journalismus studiert habe. Dennoch bin ich in den Tagen nach den Terroranschlägen nicht auf die Idee gekommen, die Redaktionsräume von Charlie Hebdo oder den Supermarkt aufzusuchen. Bis heute weiß ich nicht, wo sie waren.
Aber ich war auf dem Trauermarsch am 11. Januar 2015. An jenem Tag versammelten sich Menschen in ganz Frankreich zu Ehren der Opfer. Mehr als vier Millionen waren es, darunter mehr als 40 Regierungschefs. Laut Wikipedia war es die größte Menschenansammlung in der modernen Geschichte des Landes. Allein in Paris waren wohl mehr als 1,5 Millionen Menschen auf der Straße. Gefühlt war damals die ganze Stadt auf dem Marsch.
Alles war voll! Genaugenommen war es auch kein Marsch, wir standen die meiste Zeit. Die Stimmung war relativ gut. Die Menschen lachten. Immer wieder wurde die Marseillaise angestimmt.

Ich glaube, das ist typisch Französisch beim Umgang mit Katastrophen. Jedes Mal, wenn ein Unglück passiert, wird es zu einem nationalen Unglück gemacht und dann positiv umgedeutet. Aus dem Schock und der Trauer über das unvorstellbar grausame Verbrechen wird eine Feier, bei der Frankreich und die Werte der französischen Republik geehrt werden. Die Zugehörigkeit zur Gruppe der Franzosen verschafft ein gutes Gefühl und lässt einen das Grauen ertragen. Statt Verzweiflung Hoffnung! Die Veranstaltung hieß sogar offiziell republikanischer Marsch.
13. November 2015: Der Nachtclub Bataclan
Am Abend des 13. Novembers 2015 waren wir nicht weit von unserer Wohnung im Kino. Auf dem Nachhauseweg bekamen wir eine SMS nach der anderen, abwechselnd aus Paris und Berlin. Die Absender wollten sicher gehen, dass es uns gut geht. Wir brauchten eine Weile um zu begreifen, dass in jener Nacht 131 Menschen bei einer Reihe von Terroranschlägen sterben mussten. Fast 700 weitere wurden verletzt. Die meisten Toten waren im Nachtclub Bataclan zu beklagen. Hier gab es 90 Opfer. Wie gut, dass wir nur im Kino waren.
Nach den Anschlägen war alles still! Stell dir vor, du lebst mit 12 Millionen Menschen in einem Ballungsraum an einer normalerweise gut befahrenen Straße und plötzlich fahren keine Autos mehr. Außer natürlich Polizeiautos und Krankenwagen, die zu jeder Tages- und Nachtzeit mit Sirene durch die Straße donnern.
Am Samstagmorgen mussten wir einkaufen gehen. Der Kühlschrank war einfach leer. Die Menschen auf der Straße waren wie in Schockstarre. Eine Szene im Supermarkt ist mir im Gedächtnis geblieben. Da war ein Obdachloser, der mit einer Schnapsflasche an der Kasse vorbei aus dem Laden spazierte, vorbei an dem Sicherheitsmann und drei Omas. Keiner regte sich oder versuchte ihn aufzuhalten. Irgendwie fanden es alle richtig, dass er was zu trinken bekommt.
In den darauffolgenden Wochen hatte ich Angst Metro zu fahren. Bei Konzerten oder auf öffentlichen Plätzen schaute ich mich ständig um. Aber das ist wieder vergangen.
Am 6. Dezember waren wir bei der Rockband U2. Eigentlich hatte die Band am 14. und 15. November spielen sollen, aber die Konzerte wurden aufgrund der Anschläge verschoben. Am 7. Dezember traten bei dem Konzert sogar die Eagles of Death Metal auf, jene Band also, die im Bataclan auf der Bühne stand, als das Grauen begann. Wir bekamen ganz kurzfristig und ausgesprochen günstig Karten. Das geht sonst nie bei U2 und war sicher darauf zurückzuführen, dass ich nicht die einzige war, die Angst hatte.
U2 widmete das gesamte Konzert dem Gedenken und den Opfern. Das war irgendwie heilsam. Der Hinweg war es ehrlich gesagt gar nicht. In der Schlange vor dem Konzert war ich schon ziemlich angespannt und panisch. Aber schon die Erfahrung, dass man zu einem Konzert mit mehr als 15 000 Zuschauern gehen konnte, ohne dass etwas passierte, half irgendwie.
Das Bataclan liegt 8 Kilometer von unserer Wohnung entfernt. Trotz der Nähe waren wir vor dem 13. November nie da gewesene. In den Wochen nach den Terroranschlägen sind wir aber, wie wohl ganz Paris, zum Ort der Katastrophe gepilgert. Der Boulevard Voltaire, auf dem sich das Bataclan und der Ort eines Selbstmordanschlages jenes 13. Novembers befindet, war über mehr als 100 Meter in ein Meer aus Blumen und Kerzen gebettet. Ein Ausdruck des kollektiven Traumas. Der Ort des Grauens wird in einen Ort des Gedenkens verwandelt.
Ein fliegender Händler bot mir Blumen an und ich kaufte eine. Ein Foto habe ich damals nicht gemacht, obwohl ich es eigentlich gewollt habe. Aber es kam mir falsch vor, als würde ich dadurch den Ort entweihen.
Wir sind auch nicht lange geblieben. Monate später, im Juli 2017, waren wir dann das erste Mal auf einem Konzert im Bataclan. Am Ort des Grauens! Es war ein seltsames Gefühl. Eine Mischung aus Aufregung, Neugierde und schlechtem Gewissen. Spaß haben an einem Ort, an dem andere sterben mussten. Aber würde das Bataclan nicht weiterleben, dann hätten die Terroristen ja gewonnen! Aus demselben Grund habe ich nach dem Anschlag auf Charlie-Hebdo übrigens auch das Satiremagazin abonniert.
14. Juli 2016: Die Promenade des Anglais in Nizza
Während der Terroranschläge von Nizza am französischen Nationalfeiertag 2016 waren wir bei meinen Schwiegereltern in einem kleinen Dorf zwischen Avignon und Aix-en-Provence, gut 200 Kilometer von Nizza entfernt. Ich bin ein großer Fan von Feuerwerken und wir hatten für den Abend den Plan das Feuerwerk in Marseille anzusehen.

Am Nachmittag kam jedoch die Nachricht, dass sämtliche Feuerwerke in der Gegend aufgrund des Mistrals, einem für die Provence typischen Wind, abgesagt wurden. Große Enttäuschung machte sich bei mir breit und die Idee schoss mir in den Kopf doch nach Nizza zum Feuerwerk zu fahren. Das war gar nicht so abwegig. Ein paar Jahre vorher waren wir zu Silvester bis nach Cannes gefahren, um das Feuerwerk zu sehen. Nizza ist nur gut 20 Kilometer weiter.
Nur Dank meiner wunderbaren Tochter, die mir zu dieser Zeit eine Horrorschwangerschaft bescherte, während der ich 7 Monate mehr oder weniger ans Bett gefesselt war, verwarf ich diesen Gedanken ganz schnell wieder. So verbrachte ich den Abend bei meinen Schwiegereltern im Bett. Dort erfuhr ich dann, dass nach dem Feuerwerk in Nizza 86 Menschen durch die Terrorfahrt eines LKWs über die Strandpromenade sterben mussten.
Später sind wir auch nach Nizza gefahren, aber nicht wegen der Terroranschläge, sondern um die Stadt kennenzulernen.
15. April 2019: Die Kathedrale Notre-Dame
Am Abend des 15. Aprils 2019 bekam ich von meiner Mutter aus Berlin die Nachricht, dass die Kathedrale Notre-Dame in Flammen steht. Sofort machte ich den Fernseher an. Ich hatte auch den Impuls in die Stadt zu fahren, um mir das Feuer anzuschauen und Fotos zu machen. Aber ich entschied mich dagegen, weil ich es irgendwie zu unsicher fand. Wer weiß, was noch passiert. Außerdem hatte ich keine Lust im Zentrum hängen zu bleiben, weil keine öffentlichen Verkehrsmittel mehr fahren.
Also entschied ich mich in die letzte Etage unseres Hauses zu gehen, um zu schauen, ob man von dort etwas sehen kann. Und tatsächlich: Ich konnte die Rauchwolke sehen, die durch den Einsturz der Turmspitze entstanden war. Letztendlich war ich froh, nicht in die Stadt gefahren zu sein. Die Dämpfe aus geschmolzenem Blei, die während des Brandes entstanden, weiß man gern weit weg von sich.


Wieder stand die Stadt unter Schock. Irgendwie hat man das Gefühl, dass auf einen Schlag alles anders ist. Dass die gute alte Zeit vorbei ist. Aber natürlich geht es weiter. Man ist ja fast schon an den Umgang mit Katastrophen gewohnt. Leider!
Zwei Wochen nach dem Brand bin ich zur Notre-Dame gegangen. Wie ganz Paris und Touristen aus aller Welt. Diese Ecke von Paris ist auch sonst schon voll, aber nach dem Brand war es vor lauter Menschen schwierig, sich durch die Straßen zu bewegen. Viele machten Selfies mit der abgebrannten Kirche. Ich nicht. Eigentlich möchte ich die Ruine gar nicht auf Fotos festhalten. Zu groß ist der Schmerz über ihre Veränderung.

Direkt am Tag nach dem Brand hielt Emmanuel Macron im französischen Fernsehen eine Rede. In dieser würdigte er die Arbeit der Feuerwehrleute. Laut Macron seien sie aus allen Teilen Frankreichs und aus allen sozialen Schichten gekommen und hätten gezeigt, dass die Franzosen die Fähigkeit hätten sich zusammenzuschließen, um zu siegen. Die Kathedrale Notre-Dame wird wiederaufgebaut werden, so Macron, und sie wird noch schöner als vor dem Brand!
Hoffnung statt Verzweiflung!
Dieser Beitrag nimmt an der Blockparade Schwarzer Tourismus von The Road Most Traveled teil. Möchtest du mehr über den sogenannten Schwarzen Tourismus lesen? Dann schau dir die Beiträge der anderen Teilnehmer an: Florian und Anita berichten über ihre Erlebnisse in Tschernobyl, Gina und Marcus über die Killing Fields in Kambodscha, die Weltwunderer über Phnom Penh, Kathi über Hiroshima und UrbanRoach macht sich Gedanken zum Thema.
Was denkst du? Wie sollte der Umgang mit Katastrophen sein? Teile deine Meinung in den Kommentaren!
10 Kommentare
Bei den Attentaten verhalten sich die Leute in Frankreich wie es sein muss. Sie sind sehr solidarisch mit den Opfern aber sie ziehen sich nicht zurück, sie leben wie gewohnt weiter. Es ist wichtig den Verantwortlichen keine Schwäche zu zeigen, eher die Bereitschaft zu kämpfen, so dass der Akt erfolglos bleibt.
Bei Notre Dame ist es anders zu sehen aber es gibt eine große Solidarität.
So sehe ich es auch! Vielen Dank für deinen Kommentar!
Hallo Felicitas,
Zusammenhalt ist so wichtig. Besonders bei Katastrophen. Leider wird das schnell wieder vergessen, wenn Gras über die Katastrophe gewachsen ist. Ein friedlichen Miteinander auf Dauer wäre so schön.
Aber auch in Deutschland habe ich erlebt, dass man zusammenhält.
Das du keine Fotos gemacht hast, kann ich gut verstehen. Es gibt Situationen, da sollte man die Kamera auch mal aus lassen. Ich fotografiere auch sehr gerne, aber manchmal mache ich keine Bilder, weil ich es unpassend finde. Egal ob es dabei um ein Unglück geht oder um eine Situation, die ich als herzerweichend finde. Die will ich dann auch nur im Herzen haben.
Liebe Grüße
Liane
Hallo Liane!
Ich habe schon das Gefühl, dass diese Katastrophen die Franzosen zusammenführen! Gespalten haben sie das Land jedenfalls nicht.
Viele Grüße
Feli
Man darf diesen Attentätern keine Plattform bieten und muss weiter machen. Keiner auf der Welt ist sicher vor Katastrophen, Unfällen oder Attentaten. Das sollte man beherzen, sonst käme man um vor Angst.
Übrigens bin ich nächstes Wochenende in Paris!
Liebe Grüße
Gabrielaaufreisen
Hallo Gabriela,
schön, dass du PAris einen Besuch abstattest! Gibt es einen bestimmten Anlass?
Liebe Grüße
Feli
Liebe Feli,
Paris oder besser Frankreich hat in den letzten Jahren so einiges verarbeiten müssen.
Doch man lässt sich nicht unterkriegen. Kopf hoch und gemeinsam steht man zusammen – gegen den Terror.
Das ist es, was immer wieder ankommt.
Empfindest du das in Paris auch so?
Liebe Grüße, Katja
Liebe Katja,
ehrlich gesagt empfinde ich persönlich es nicht so kämpferisch. Man hat ja einfach keine Wahl. Für die, die noch leben, geht das Leben ja wirklich weiter. Nach Charlie Hebdo haben die Leute es noch lockerer gesehen, aber das hat sich dann geändert. Aber natürlich sind nach so einer Katastrophe die Menschen freundlicher. Es ist unüblich, dass man den Schuldigen sucht, oder anderen gegenüber Aggressionen aufbaut (wie in D?!).
Liebe Grüße
Feli
Joa, Frankreich ist wirklich schon hart gebeutelt in den letzten Jahren. Immer schlimm wenn so etwas passiert, ganz egal wo auf der Welt. Umso beeindruckender, wie die Franzosen inzwischen mit solchen Situationen gelernt haben umzugehen. Fast könnte man den Eindruck bekommen, vielen meinen, das sei „normal“ inzwischen das ab und zu mal etwas passiert. Hoffentlich ist dem nicht so.
Hallo Andreas!
Es ist nicht normal, dass so etwas passiert. Aber irgendwie hat man gelernt, damit umzugehen.
Viele Grüße
Feli